Gelassen und unbeeindruckt können jene Hundeführer über die Wiesen und Felder streifen, deren Hund kein sonderliches Interesse am Beuteschlagen zeigt. Die Domestizierung beschänkt eben so Manchen mit verkümmerten Wünschen. Dieser Instiktausfall, oder eben auch der gewollte, durch die Zucht reduzierte Jagdinstinkt, birgt also auch, für die etwas bequemeren Hundeführer, einen gewissen Nutzen in sich. All jene, die sich bewusst oder im Anflug einer sentimentalen mütterlichen Gefühlswelle einen Jagdhund-Welpen ins Haus geholt haben, bermerken meist ab dem 6.Monat (der Monat der Rudelordnungsphase und der ersten Jagdausflüge) die Entwicklung einer Eigenschaft, die später noch das geliebte eigene Nervenkostüm strapazieren wird. Und nun ist guter Rat teuer!
Kann man den Jagdtrieb abstellen? Meiner Meinung nach? Nein. Und genau jetzt beginnt für mich der Widerspruch beim sogenannten “Antijagdtraining”. Ein Trieb, der durch das Ablaufen von Erbkoordinationen ausgelöst wird und stets von einem Lustgefühl begleitet ist, kann nur schwer (bei einem wirklich ambitionierten Jäger mit beachtlichen Erfolgsquoten) durch ein Leckerli unter Kontrolle gebracht werden. Das wäre das gleiche, als würden Sie den überdurchschnittlichen Sexualtrieb einer Nymphomanin mit einem Stück Schokolade bändigen wollen. Eine Triebregulierung kann selten mit einer Bestechung funktionieren. Auch wenn viele Hundeschulen und Hundetrainer ein Antijagdtraining anbieten, welches sich durch eine Konditionierung mit Futter auszeichnet, hege ich persönlich meine Bedenken, dass dies von jedem Hund auch wirklich so angenommen wird. Gewiss mag das Lenken mit Futter bei Hunden möglich sein, deren ausgeprägtes Jagdverhalten eher unterdurchschnittlich ist. Ein notorischer Räuber aber dankt für den Snack und jagt gestärkt weiter.
In nicht wenigen Fällen scheint sich der Ansatz festgesetzt zu haben, den Hund über noch mehr Auslastungen dahin zu bewegen, seine überschüssige Energie durch gemeinsame Aktivitäten zu verbrennen. Keiner jagt, wenn er erschöpft ist – so ist die Idee!
Agility kann den Jagdtrieb fördern, anstatt ihn zu minimieren.
Agility findet daher immer mehr Begeisterung und Zuspruch, da es genau die Thematik – Minimierung des Jagdtriebs durch Auslastung – anspricht. Folgende Gedanken gehen mir bei dieser Herangehensweise durch den Kopf: Agility ist Triebarbeit auf vollen Kanälen. Da es für den Hund mit starken Jagdambitionen eine Freude sein wird, allem hinterher zu hetzen, das sich schnell von ihm entfernt, kann Agility vom Hund als eine Trainingsbasis verstanden werden. Seine Reaktionen, Beute zu schlagen, verbessern sich erheblich, da das Hinterherjagen nach einem Ball die gleichen inneren Prozesse im Hund frei setzt, die bei einer realen Jagd nach einem Hasen aktiviert werden. Jagen am Objekt ist nichts anderes als das Jagen nach einem Hasen. Daher könnte es bei den richtigen Kandidaten, meiner Erfahrung nach, auch nach hinten los gehen. Wer sich einen Hochleistungssportler züchtet, braucht sich nicht zu wundern, dass seine Ausdauer erheblich zunimmt.
Welche Grundvoraussetzung braucht es, um die Jagdambitionen einzudämmen?
Zuerst muss die Mensch-Hund-Beziehung aufgebaut werden. Ein Grundgerüst, welches auf Bewegung-Disziplin-Zuneigung aufgebaut werden kann. Hat die Beziehung die Grundsubstanz der Bestechung, wird sich ein Erfolg nur bedingt einstellen. Die Grundbasis für den Erfolg, den Jagdtrieb umlenken und somit kontrollieren zu können, ist Respekt und Vertrauen. Nur wenn Ihr Hund Ihre Ressourcen kennt und schätzt, Ihnen vertraut und Sie respektiert, können Sie ihn davon überzeugen, dass die Beute Ihnen gehört, und nicht dem Hund. Um dies zu erreichen, ist es unumgänglich, entstandene Lücken im sozialen Kontext durch eine tiefgreifende Beziehungsarbeit zu schließen. Nicht das Jagen ist das Kernproblem, sondern dass der Hund in keiner Beziehung mehr steht, sobald er das Objekt der Begierde vor Augen hat.
Unerwünschtes Jagdverhalten kann nur dann optimal in den Griff bekommen werden, wenn wir den Hund dazu bringen, den Außenreiz besonders dann auszuklammern, wenn ich diesen in Anspruch nehme. Glaubt er mir, dann wird er mir den Vortritt geben, ohne dass ich ihn darauf aufmerksam machen muss. Die Grundvoraussetzung, dass sich der Hund im “Jagdgebiet” auf mich einlässt, sich auf mich beziehen kann, ist die Freigabe von Ressourcen, die wiederum Bestandteil einer intakten Beziehung ist. Das einfache Hinwegsetzen gegenüber einer im Rang höher stehenden Autorität ist eine Lücke im Beziehungsgerüst und wird sich durch den Akt der Bestechung sicherlich nicht verbessern. Natürlich wird die Bestechung vom Menschen gern angeboten, um seine eigenen Schwächen kaschieren zu können. Ändern tut es in der Sicht des Hundes allerdings nichts. Dafür sind sie viel zu schlau, um nicht zu erkennen, dass der Mensch am Ende seines Lateins ist. Kann er nicht mehr überzeugen, beginnt er die Aufmerksamkeit zu erschleichen.
Steht der Hund mit seinem Menschen in Beziehung, wird er in der Lage sein, seine Entscheidungen zu respektieren, indem er Kooperation anbietet und keinen Anspruch auf die Ressource Hase hegt, weil der Halter überzeugt und nicht bettelt. Der Hund muss also nur verstehen, dass alles meins ist, was auf diesem Planeten herumschwirrt. Hat er das begriffen, dann haben Sie auch kein Problem mehr mit den unerlaubten Jagdausflügen Ihres Schützlings. Glaubt der Hund Ihren Anspruch, dann wird er in der Ruhe neben seinen Menschen verweilen. Distanz und innere Ruhe führen zur Souveränität.
Innere Ruhe ist grundlegend für eine intakte Beziehung
Innere Ruhe und Distanz verhelfen dem Hund, Reize besser einzuordnen. Das richtige Einordnen von Reizen verhindert zudem, dass diese kopflos bestürmt werden. Zu Beginn ist es daher notwendig, innere Ruhe durch Triebregulierung zu schaffen. Den Hund im Trieb zu regulieren bedeutet, ihn auf genau das Energielevel zu bringen, wo er etwas lernen kann. Auch wir Menschen können nicht besonders gut lernen, wenn der Puls die 200 überschreitet. Solange sich der Hund im extremen Trieb befindet, er im Reiz fokussiert bleibt und den Menschen dadurch ausklammert, ist ein Ansprechen, Ablenken oder Umlenken zum Scheitern verurteilt. Helfen kann das Verständnis, dass ein Hund, der sich permanent im Trieb befindet, gar nicht anders kann als zu fixieren, zu hetzen und abzuschalten. Zu erkennen ist allerdings, wenn man mit Verständnis blickt, dass alles Jagen wenig mit Ungehorsam zu tun hat. Der Hund unterliegt einfach nur seinem Drang, dem Trieb zu folgen. Gehorsam kontrolliert, in der Tat. Gut gemacht, kann man damit sehr gut leben. Aus meinen Beobachtungen heraus ist es jedoch nicht das gleiche, wenn der Hund von sich aus vom Reiz ablässt. Bevor man sich also mit der Problematik des unerwünschten Jagdverhaltens auseinandersetzt, ist das Kernthema zu verstehen. Dies ist sicherlich nicht das Jagen!
Ob nun Apportierspiele, Suchmodelle oder Auslastungsarbeiten bei einem erstklassigen Jäger sinnvoll sind, ist dann individuell zu entscheiden. Auslastungsmodelle dieser Art können allerdings auch genau das Gegenteil der erwünschten Ruhe und neutralen Behandlung von Ressourcen auslösen. Dies ist nach dem Abschluss des sozialen Lernens individuell zu betrachten.
www.mit-hunden-leben.com